Rob Lenois, Deputy Chief Creative Officer bei Grey New York, hat in diesem Jahr ohne große Erwartungen das US-amerikanischen Sundance Film Festival besucht. Aber was dort präsentiert wurde, hat bei ihm einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Auch ich reiste mit einiger Skepsis zum Sundance, obwohl ich schon seit langer Zeit im Kreativbereich tätig bin. In unserer Branche hält man das Marken-Storytelling für die Lösung aller Probleme. Und ehrlich gesagt, hatte ich befürchtet, dass vier Tage lang
nur über dieses überbeanspruchte Modewort diskutiert wird.
Aber das Erstellen sechssekündiger Filme für Sundance war eine tolle Erfahrung und die beeindruckenden Geschichtenerzähler mit den verschiedensten Hintergründen haben mich unglaublich inspiriert. Ich überwand meine anfängliche Skepsis und habe mir tatsächlich Gedanken über die Bedeutung und die Elemente einer guten Story gemacht. Rückblickend verstehe ich sehr gut, warum Sundance für die Branche quasi eine Petrischale für kreative Experimente, neue Storytelling-Technologien und Gespräche mit kreativen Köpfen ist.
Heutzutage ist mutige Werbung ein Muss. Unternehmen müssen ungewöhnliche Wege gehen, da die Erwartungen der Nutzer steigen und es immer schwieriger wird, ihr Interesse zu gewinnen.
Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Werbetreibende nur kulturell relevant bleiben können, wenn wir uns trauen, außergewöhnliche Anzeigen zu schalten. Heutzutage ist mutige Werbung ein Muss. Unternehmen müssen ungewöhnliche Wege gehen, da die Erwartungen der Nutzer steigen und es immer schwieriger wird, ihr Interesse zu gewinnen.
Was nicht außergewöhnlich ist, fällt auch nicht auf
Früher wurde von großen Filmstudios und der Elite in Hollywood bestimmt, welche Filme für die breite Öffentlichkeit produziert wurden. Heute heißen Festivals wie Sundance die Außenseiter der Filmbranche willkommen und unterstützen unabhängige Stimmen. Sie feiern die mutige Evolution und Demokratisierung des kreativen Storytellings. Dabei wird eindrucksvoll demonstriert, dass sich Indiefilme, neue Technologien, Webserien und sogar sechssekündige Anzeigen erfolgreich neben Produktionen in Spielfilmlänge mit Stars wie George Clooney behaupten können.
Ich sah die Dokumentation Robin Williams: Come Inside My Mind, ein intimes Portrait dieses hervorragenden Künstlers, und erlebte bei der Premiere der sechssekündigen YouTube-Stories, in denen klassische Märchen neu erzählt wurden, hautnah den nächsten Trend des fesselnden Storytellings. Ich habe faszinierende Geschichten gesehen, die mithilfe von Augmented/Virtual Reality (AR/VR) und künstlicher Intelligenz (KI) geschaffen wurden, und hatte das Glück, an einem unglaublich inspirierenden Dinner teilnehmen zu dürfen, das von Benjamin, dem ersten KI-Drehbuchautor, veranstaltet wurde. Das komplette Dinner war KI-generiert, angefangen bei den Speisekarten, über die Musik bis hin zu einer spontanen Livetheaterdarbietung. Die Choreografie war beeindruckend und die Dinnergäste konnten die technologischen Möglichkeiten aus einem ganz neuen Blickwinkel betrachten und sich mit den damit verbundenen neuen Fragen beschäftigen.
Wir als Kreative haben oft neidisch auf die Gestaltungsfreiheit – oder das scheinbar unbegrenzte Budget – Oscar-prämierter Filme oder Bestsellerautoren geblickt. Aber Einschränkungen zwingen uns zu einer mutigeren Art des Storytellings.
Ich habe erfahren, dass das Sundance eine außergewöhnliche Bühne für Kreativität ist und dass die dort in Gang gesetzten Gespräche und Diskussionen wichtige Impulse für unsere Branche geben. Heute ist das Internet nur einen Klick entfernt und unsere Zielgruppen interessiert weniger, woher der Content stammt, sondern vielmehr, ob er gut ist und sie emotional anspricht.
Von Smartphones und Computern zu Smart-TV-Geräten und VR-Headsets – Nutzer können jederzeit, überall und mit beliebigen Personen Geschichten erleben. Diese zunehmende Verbreitung von Inhalten, auf die rund um die Uhr zugegriffen werden kann, macht es möglich, dass die Zielgruppe jetzt ganz und gar selbst entscheiden kann, was sich zu sehen lohnt. Das ist für uns eine einzigartige Chance, die Themen aufzugreifen, die bei unseren Zielgruppen auf Interesse stoßen, und mit ihnen auf neue Arten zu interagieren.
Da die Zuschauer selbst entscheiden, was sie sehen möchten, sind Experimente und mutige Strategien für unseren Erfolg unverzichtbar.
Innovative Werbung wird belohnt, bringt aber neue Einschränkungen mit sich
Das beste Storytelling lebt von Extremen – menschliche Geschichten, die nicht der Norm entsprechen. Auch Kreative sind verschiedenen Extremen ausgesetzt und müssen sich mitunter mit einem Minimalbudget, schwierigen Akteuren, einer grauenvollen Geschichte oder Formateinschränkungen herumschlagen, die scheinbar unlösbar sind.
Nehmen wir beispielsweise den kurzen Dokumentarfilm Zion by Floyd Russ, einem beeindruckenden Portrait des jungen Wrestlers Zion Clark, der ohne Beine geboren wurde. Ich kann zwar keine konkreten Zahlen nennen, bin mir aber ziemlich sicher, dass die Produktionskosten unter denen für einen typischen 15-Sekunden-Werbespot lagen.
Wir als Kreative haben oft neidisch auf die Gestaltungsfreiheit – oder das scheinbar unbegrenzte Budget – Oscar-prämierter Filme oder Bestsellerautoren geblickt. Aber beim Sundance wurde ich daran erinnert, dass Beschränkungen uns zu einem mutigeren Storytelling zwingen. Es erfordert Courage und Kreativität, um das Unmögliche möglich zu machen. Beschränkungen nötigen uns zu Entscheidungen.
Da ist zum einen die Zeitbeschränkung. Relevantes Beispiel: Wie können wir ein allseits beliebtes Märchen wie Rotkäppchen in sechs Sekunden erzählen? Eine kreative Umsetzung in diesem Format scheint unmöglich. Aber wenn wir uns von der herkömmlichen Erzählweise mit Anfang, Mittelteil und Schluss lösen, eröffnen sich uns vollkommen neue Möglichkeiten.
Wenn wir Kreative mutig genug sind, können wir diese vertrauten Geschichten durch die Linse aktueller Geschehnisse und gesellschaftlicher Konstruktionen betrachten. Das liefert uns die Inspiration für moderne Geschichten, die das heutige Publikum genauso in den Bann zieht wie die Leser der Originalmärchen. So lässt sich das Rotkäppchen beispielsweise in eine Feministin verwandeln, die dem bösen Wolf das Fürchten lehrt – und das in nur sechs Sekunden.
Durch mutige Kampagnen entstehen Communities
Geschichten, die vom sozialen und kulturellen Kontext inspiriert sind, um eine gemeinsame Basis mit dem Ethos einer Marke zu finden, hatten schon immer sehr gute Erfolgsaussichten.
Heute steht Unternehmen dank Plattformen wie YouTube eine weltweite, dynamische und kreative Community zur Verfügung – dem größten Spiegelbild der Kultur, das es je gab. Auf YouTube können die Nutzer buchstäblich aus Millionen von Videos auswählen und ihren wahren Leidenschaften intensiver nachgehen. Und diese Communities geben sich nicht nur mit dem Konsumieren von Inhalten zufrieden, sondern sind eine enorme Bereicherung.
Es erfordert schon Mut, die Zügel aus der Hand zu geben und Ihre Zielgruppe einzuladen, Teil der Geschichte zu werden. Auf dem Sundance in diesem Jahr habe ich mich an diese Art der Zusammenarbeit erinnert, die beim Project Imagination von Canon so erfolgreich war, dem ersten Fotowettbewerb in der Geschichte, der als Inspiration für einen Hollywoodfilm diente. "When You Find Me" wurde von dem Oscar-prämierten Regisseur Ron Howard gedreht und schaffte es in die Shortlist für einen Academy Award.
Dieses Projekt ist der Beweis dafür, dass heutzutage auch Laien einen Film produzieren können. Wir sind alle kreativ und jeder kann die Aufgabe des Regisseurs übernehmen. Anstatt einfach nur Inhalte zu übertragen, können wir selbst etwas schaffen und dabei an die vorhandenen Interaktionen mit interessierten Communities anknüpfen, die schon ganz gespannt darauf warten, was wir präsentieren werden.
Es erfordert Mut, um eine echte Beziehung zu Zielgruppen aufzubauen
Jetzt müssen Sie etwas wagen. Was können Sie gleich jetzt, nächste Woche oder morgen unternehmen, um die vorhandenen kreativen Chancen gewinnbringend zu nutzen? Was charakterisiert die Marktführer und Geschichtenerzähler von morgen?
Mut bei der Werbung zahlt sich aus.